Weiterbildung muss zur Selbstverständlichkeit werden, Süddeutsche Zeitung 21. Okt.

von | Okt 22, 2022 | Alle Beiträge, Beruflich wieder einsteigen, Berufliche Neuorientierung, Presse | 0 Kommentare

„Weiterbildung muss zur Selbstverständlichkeit werden“- ein Interview mit Karrierebeaterin Petra Perlenfein, erschienen am 21. Oktober 2022 im Verlagspezial der Süddeutschen Zeitung, von Harald Czycholl.

Die Art und Weise, wie und was wir lernen, befindet sich im Wandel. Klar ist, dass Unternehmen ihre Beschäftigten für Herausforderungen wie die Globalisierung und den digitalen Wandel fit machen müssen, denn in der Arbeitswelt von morgen werden zahlreiche neue Kompetenzen benötigt. Zugleich können gezielte Weiterbildungen auch dabei helfen, das Problem des Fachkräftemangels zu lindern. Die Digitalisierung agiert dabei nicht nur als Treiber, sondern auch als Wegbereiter für neue Lernmöglichkeiten. Im Interview spricht Petra Perlenfein, Karriereberaterin und Inhaberin der Perlenfein Karriereakademie aus Stuttgart, über das Digitale in der Weiterbildung, den Faktor Mensch bei der Wissensvermittlung – und plädiert für einen Mix aus Präsenz- und Onlineangeboten.

Viele Unternehmen spüren heute den Druck, sich sehr schnell verändern zu müssen, um externen Faktoren wie der Digitalisierung und der Globalisierung erfolgreich begegnen zu können. Welche Rolle spielt die Weiterbildung der Mitarbeiter dabei, diese Herausforderungen zu bewältigen?

Eine große, da die Digitalisierung sehr schnell voranschreitet. Es werden sich immer schneller Änderungen ergeben und die Lerninhalte der Digitalisierung entwickeln sich ebenfalls ständig weiter. In der Industrie, aber auch in der Verwaltung und im Dienstleistungssektor wird es einen ständigen Bedarf für Weiterbildung geben. Außerdem wollen sich auch immer mehr Menschen persönlich weiterentwickeln im Bereich der sozialen Kompetenzen.

Ist die Digitalisierung nicht nur Auslöser eines erhöhten Weiterbildungsbedarfs, sondern auch Teil der Lösung, weil sie digitale Lernangebote für die Mitarbeitenden ermöglicht?

Digitale Lernangebote sind wichtig, aber man sollte trotzdem immer noch den Faktor Mensch sehen. Manche Menschen brauchen einfach die Lehrer-Schüler-Beziehung, um effektiv lernen zu können. Sinnvoll sind oft Kombiangebote aus Präsenz- und Online-Fortbildungen. Das gilt selbst für die extrem onlineaffine Generation Z – auch hier gibt es eine Nachfrage nach Präsenzangeboten, wenn auch nicht mehr so stark wie früher.

Wie gut sind Unternehmen darauf vorbereitet, E-Learning Angebote qualitativ einzuordnen und auszuwählen?

Das hängt von der Professionalität der Personalentwicklung ab: Als erstes braucht man eine Strategie. Dazu muss man natürlich den Bedarf an Weiterbildungen kennen und dazu im stetigen Austausch mit den Fachabteilungen stehen. Dann lassen sich auch inhaltlich gute Angebote entwickeln, die dann natürlich evaluiert und regelmäßig angepasst werden sollten.

Lernt man in Traditionsunternehmen anders als in jungen, agilen Unternehmen?

In Startups sind die Mitarbeiter in der Regel jünger und schon deshalb agiler und digitaler unterwegs. Sie sind digitales Lernen gewöhnt, verstecken sich aber auch teilweise hinter der Anonymität, die die digitalen Formate mit sich bringen. Aber auch in Traditionsunternehmen gehen digitale Angebote, wenn die Mitarbeiter und die Führungscrew innerlich jung und modern sind. Es kommt also auf das „digital mindset“ der Mitarbeiter und Führungskräfte an.

Lassen sich Weiterbildungskonzepte auch dazu nutzen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen?

Ja, sicher. Es geht darum, dass die Mitarbeiter sich anhand eines persönlichen Entwicklungsplans weiterentwickeln, um mit den Anforderungen am Arbeitsplatz Schritt zu halten. Durch Weiterbildungen kann man neue Kompetenzen erwerben und so auch in eine neue Rolle im Unternehmen hineinwachsen und neue Kompetenzen erwerben. Deshalb sollte jeder Mitarbeiter ein ureigenes Interesse daran haben, sich regelmäßig und ganz gezielt weiterzubilden.

Schon seit längerer Zeit gibt es Fördermittel für Betriebe, um mehr Weiterbildungsangebote für Geringqualifizierte und für ältere Arbeitnehmer zu schaffen. Der Erfolg ist allerdings überschaubar geblieben. Was könnte man noch tun, um auch diesen Personengruppen die Chance zur Weiterentwicklung zu geben?

Man muss das Angebot vor allem bekannter machen und das heißt, dass es dafür mehr Öffentlichkeitsarbeit geben muss. Veranstaltungen bei den Kammern und entsprechende Beratungsangebote wären Ansatzpunkte. Wichtig ist hier der persönliche Kontakt, denn die reine Schriftform geht unter. Außerdem sollte man sich auf die Bedürfnisse und der Lernfähigkeit von Geringqualifizierten und Älteren einstellen: Haben diese einen Zugang zum PC? Welche Lernerfahrung haben sie gemacht? Wie schafft es der Trainer, eine positive Lernatmosphäre herzustellen? Und welche Lernangebote können digital im Selbststudium absolviert werden? Diese Fragen müssen geklärt sein.

Wäre die von der Bundesregierung geplante Weiterbildungszeit im Sinne einer öffentlich geförderten Bildungs-Auszeit ein geeignetes Instrument, um Anreize zu setzen und eine bessere Qualifizierung der Mitarbeitenden zu ermöglichen?

Ich hoffe es, aber auch hier gilt, dass das Instrument gut beworben und den Unternehmen nahegebracht werden muss. Außerdem müssen die Mitarbeiter erkennen, dass ihnen die jeweilige Weiterbildung einen echten Vorteil bringt. Die Anwendbarkeit in der Praxis muss gegeben sein, ebenso wie ein Bewerbungsvorteil, wenn man sich auf eine neue Stelle bewirbt. Denkbar wäre auch, Zeiten des Auftragsrückgangs gezielt für die Weiterbildung zu nutzen, auch und gerade in Phasen von Kurzarbeit.

Welche Nachteile würde das Konzept gegebenenfalls für Unternehmen mit sich bringen?

Die größeren Unternehmen werden es schnell hinbekommen, aber für kleinere Betriebe könnte es schwierig werden. Denn die Weiterbildungszeit bringt ein Zeit- und ein Kostenproblem mit sich. In jedem Fall braucht man neues Personal, um das Konzept auf das Unternehmen anzupassen und die jeweiligen Weiterbildungsbedarfe zu identifizieren. Außerdem muss die Dokumentation der absolvierten Weiterbildungen gewährleistet sein, genauso wie ihre Evaluation und Nachbereitung – auch das ist eine Zeitfrage.

Wir leben einerseits in einer sich schnell verändernden Vuca-Welt, gleichzeitig müssen Unternehmen aber planen, welche Kompetenzen in welcher Qualität und Quantität sie in den nächsten drei bis vier Jahren benötigen, um die Mitarbeitenden individuell in den richtigen Bereichen weiterentwickeln zu können. Wie gehen Unternehmen mit diesem Widerspruch um?

Man muss die Herausforderung annehmen und dabei flexibel bleiben. In jedem Fall braucht man eine Strategie, aber eben auch die Fähigkeit, bewusst von einem Plan abweichen zu können. Dazu gehört eine Vertrauenskultur genauso wie kurze Kommunikationswege und eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit. Hilfreich kann es außerdem sein, verschiedene Abweichungsszenarien durchzuspielen und sich dabei immer klarzumachen, dass es auch ganz anders kommen kann, als man gerade annimmt.

Wie wird es im Bereich der betrieblichen Weiterbildung aus Ihrer Sicht weitergehen? Gibt es zentrale Erfolgsfaktoren für das Gelingen von Weiterbildung?

Ich hoffe, dass Weiterbildung zur Selbstverständlichkeit wird und konsequent angegangen wird – nicht nur in Notzeiten bei Fachkräftemangel und digitalem Wandel. Dazuzulernen und sich weiterzuentwickeln ist einfach ein lebenslanges Bedürfnis, und zwar gleichermaßen von Unternehmen und ihren Mitarbeitern. Das muss von der Geschäftsleitung ausgehen. Führungskräfte müssen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Weiterbildungen gemacht werden können. Allerdings sollte Weiterbildung nicht anonym mit einem Gießkannenprinzip ausgeschüttet werden, sondern das Unternehmen muss die Inhalte mit dem Anbieter abklären. Nicht jeder Yogakurs gehört zur Weiterbildung.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert